
Draußen Dauerregen. Wenig los im Supermarkt. Jazz-Musik und sanftes Licht. Halb acht in Köln am Montagabend.
Das Ambiente seufzt mich zu den Bratwürstchen. Zu den Nudeln und zur Käsetheke. Vorbei an Tiefkühlpizzen, zurück zu den Salaten, kreuz und quer durch diesen Laden.
Im Schlenderschritt erreiche ich die Kasse. Vor mir nur ein Kunde. Piep, Piep, der Scan im vollen Gange. Die Kassiererin im Mittelalter, sehr breit und ziemlich dick, liegt entspannt in ihrem Sessel, schiebt und scannt die Sachen.
Ich lege meinen Einkauf auf das Band. Zeit genug zum Gucken: Unerreichbar für die Kunden, hinter der Kassiererin die teuren Sachen, irgendwie Champagner. 179,00 Euro die eine Flasche, direkt daneben Premium: 228,99 Euro!
Ich denke: „Gibt’s doch nicht!“ Überlege noch, ob ich die Kassiererin befragen werde. Zum Preis und wer Champagner kauft im Supermarkt – für Zweihundertachtund….da höre ich, Piep, Piep, wie der Kunde vor mir sagt: “Schöne Fingernägel!”
Ich wende mich dem Jungen zu. Wilde, schwarze Mähne, Corona-Maske auf, etwas schmächtig, sammelt seinen Einkauf ein und stapelt ihn im Einkaufswagen. Piep, Piep, der Nachschub rollt.
Zu den Händen der Kassiererin gebeugt, mit einer etwas mädchenhaften Stimme, sagt der Junge weiter: “Das sieht toll aus!”
Fingernägel bestehen aus der Hornsubstanz Keratin, genau wie ihre Haare. Die Kassiererin genervt, sagt: “Was denn”? Er sehr tapfer: “Ihre Fingernägel, sehr schön, die sehen toll aus!“, wiederholt der Junge, ein bisschen zittrig seine Stimme jetzt. Die Kassiererin seufzt: “Danke! 48,97 Euro!”
Ich denke: Irgendwie sehr schräg, irgendwie sehr nett vom Jungen und auch ein bisschen tragisch. Ein Plauschversuch zu Fingernägel. Aber lustig auch, weil ich gleich dran komme.
Es heißt, mehr als 130 Nagelstudios feilten an den Fingern dieser Stadt. Ein Geschäftsmodell, wie Haareschneiden. Vielleicht sogar ein bisschen besser. Aus den Fingern wächst das Keratin mit einem Millimeter pro Arbeitswoche zwar deutlich langsamer als Haare, die monatlich bis zu 1,5 Zentimetern Strecke machen, aber Nägel brechen einfach besser. Splittern, reißen, werden matt.
Der Typ bezahlt, ist durch und fertig. Sagt beim Gehen, etwas sperrig: “Danke, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!” Die Haare der Kassiererin sind lang und schwarz. Zwei rote Spangen rechts und links. Sie murmelt: “Danke, ihnen auch”, greift nach rechts, nach meinen Würstchen.
Lackiert man äußerst lange, spitze Fingernägel Ferrari-Rot, vielleicht wie hier auch noch in Flammenmustern, schiebt sich die bemalte Nagelplatte durch das Wachstum, wie ein Schieber, mit der Zeit und Stück für Stück, hinaus in diese Stadt – und im Supermarkt zum Bratwürstchen.
Meine Sachen laufen an. Piep, Piep. Die grobe Bratwurst, Nudeln, Pizza, das Brot und der Salat. Piep, Piep. Ich stelle mich ans Ende, sage: “Schöne Fingernägel!”
Ich warte, grinse. Sie guckt mich an und streckt mir ihre linke Hand entgegen. “Danke, war auch teuer. 100 Euro!”
Piep, Piep. Ich sage,”Was???“
Das klingt nach Premium Lackierung, nach Champagner-Tropfen aus der Flasche hinter ihr. Ich sage: „Gibt’s doch nicht! 100 Euro? Das sind….das sind…5 Euro.., das sind 20 Euro pro Nagel!“
Piep, Piep. Sie schüttel wild den Kopf. Die rechte Hand schnellt mir entgegen.”10 Euro, ich habe zwei Hände, mit 10 Fingern, das waren 10 Euro pro Nagel! 100 Euro für beide Hände!”
Piep, Piep. Ich sage, “Gibt’s doch nicht! 10 Euro pro Nagel!?” Und sie sagt: “38,53 Euro! Brauchen Sie den Beleg?” Ich schaue mich um und nicke. Zwei weitere Kunden warten jetzt am Band.
Das Nagelstudio-Business ist wie ein Abo-Shop-System und irgendwie zugleich auch Junkie-Bude. Zwischen Ferrari-Lack und Nagelhäutchen klafft erst ein kleiner Spalt und irgendwann ein ganzer Canyon. Das sieht schnell scheiße aus.
Ich zahle, bleibe stehen und frage: “Wie lange halten denn die Nägel?” Sie greift nach rechts, Piep, Piep: “Nicht so lange, nur vier Wochen. Wegen der Arbeit hier!” Piep-Piep…Piep, Piep…Piep-Piep.
Ich sage, “Oh, das ist ja schade!“, zirkel eine Handbewegung in die Luft, deute auf die Hände: „aber sehr schön die Nägel”, und blicke zu den Kunden.
Beide starren mich an. Doch die Frau mit blonder Mähne, die jetzt am Zuge ist, grinst zu mir und nickt.
Ich packe meine Sachen, drehe mich um und gehe langsam, Piep-Piep, Piep-Piep…
„Schöne Fingernägel!“, höre ich die Blonde sagen.
Draußen Dauerregen.